Abgesehen vom verhassten Klosterkindergarten - in dem wir Kinder, wie hilflose Schäfchen, mit nach vorne auf dem Tisch, auf unseren verschränkten Armen gebeugten Köpfen, unsere Mittagsruhe verbringen mussten und die strengen Augen der schwarzen Schwestern fürchteten - war ich ein schlechter Kirchengänger. Ach, wie hasste ich die selbstherrlichen, selbstgerechten und ungerechten, alles besserwissenden, schwarzen Schwestern. Noch lange, bis zu meinem zwölften Lebensjahr, träumte ich von ihren geröteten, alten, bösen Augen und an Spinnenbeine erinnernden faltigen Händen.
Mein Kirchenaustritt - mit zweiundzwanzig Jahren, um letztendlich nur Steuern zu sparen - wird meine Lage vor dem Jüngsten Gericht sicher auch nicht verbessern, aber wenigstens konnte ich mit dem Austritt ein dunkles Kapitel meiner Kindheit abschließen.
Ansonsten war ich aber doch ein ordentlicher Mensch, oder?
Bis auf ein paar Notlügen - die meisten um die Schule oder später die Arbeit zu schwänzen, um ungeliebte Arbeit einem Kollegen zuzuschieben oder ein paar Biere bei einer Alkoholkontrolle runterzurechnen - habe ich niemanden belogen oder betrogen.
Wenigstens nicht mit Absicht.
Absicht, na ja, meinen Chef habe ich, nach durchzechter Nacht schon belogen: Da habe ich mich doch des öfteren krank gemeldet. Aber krank ist, wenn man sich körperlich gebrechlich fühlt; genau wie eben nach einer Kneipentour. Sich krank zu melden, ist demnach nicht einmal eine Lüge, sondern die reine Wahrheit oder wenigstens beinahe.
Toll, der erste Teil meiner Verteidigung ist abgehakt.
Wie ist es aber mit meinen mangelhaften Kirchenbesuchen? Das dürfte kein Problem sein: Kirche ist nicht gleich Glauben!
Glauben, da ist mein Problem! - Habe ich den richtigen Glauben? Hinduismus, Buddhismus, christlicher Glaube oder der Islam oder doch besser das Judentum. Wie soll man da noch den Überblick behalten und sich richtig entscheiden?
Genau die große Auswahl hat verhindert, dass ich mich entschieden habe. Für das Thema
"mangelnder Glaube" habe ich nun auch die richtigen Argumente oder wenigstens Ausreden.
Meine Verteidigung steht, wenn, ja wenn, ich mich verteidigen darf.
Keine schlechte Ausgangsbasis. Außer, Ja... außer, wenn es stimmt, und Gott uns ins Herz schauen kann, dann, ja dann ist meine ganze Notlügenkonstruktion nutzlos.
|