Mein Gott, hier erwacht das Leben und ich wandere genau hinein, in die Welt des Lebens. Nach wochenlanger einsamer Wanderschaft, endlich Leben. Nicht mehr alleine, der Wald ist voller Leben.
Mein Gott, diese Welt lebt.
Nie in meinem jämmerlichen Dasein war ich so glücklich, einen Vogel zu hören. Ich beobachte den Wald auf der anderen Seite der Schlucht, suche den Vogel, der das Leben verkündet, will das Leben nicht nur hören, will es auch sehen. Ja, am Ende eines Astes, auf einer kleinen, aber dicht gewachsenen Tanne, bewegt sich etwas. Da ist es, da ist das Leben.
Nie habe ich mich für Vögel interessiert, heute bereue ich es. Ich kenne nicht einmal seinen Namen, aber er ist der Bote des Lebens.
Der Bote genießt die frischen, honigsüßen, noch feuchten Knospen. Pickt, reißt und fliegt zum nächsten Ast, um wieder zu picken. Ich entdecke immer mehr der kleinen Lebensboten. Der ganze Wald ist voll davon. Ich kann mich gar nicht satt sehen.
Erst jetzt begreife ich, wie ich das Leben vermisste.
Meine Augen werden feucht. Freudentränen bahnen sich ihren Weg über beide Wangen. Ich setze mich auf einen noch nassen Stein und lasse meinen Körper das Leben genießen.
Aber auch auf dieser Seite der Schlucht gibt es Leben. Vor mir kämpft eine haselnussbraune Waldameise gegen die Last einer mindestens fünfmal so großen Fliege. Ich blicke auf den Waldboden, zwischen meinen Beinen und überall wimmelt es von Leben.
Es ist herrlich.
Die Sonne hat ihre Reise soweit fortgesetzt und jetzt berühren auch mich die ersten wärmenden Strahlen. Ich streichle den kalten Fels neben mir, als wollten meine Finger das Leben berühren und rieche das feuchte, eisenhaltige Mineral.
Zum erstenmal lebe ich... lebe ich wirklich.
Hier muss das Paradies sein!
Zufrieden schließe ich die nassen Augen. Eine letzte Träne bahnt sich ihren Weg, vorbei an meiner schniefenden Nase nach unten. Ich denke nichts mehr, fühle nur das warme Licht der Sonne, das langsam Stiefel und Umhang trocknet, höre das Wasser, die Vögel und immer wieder das Leben.
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