Die Zeit vergeht und erst gegen Abend erwache ich ohne die gewohnte Angst vor den hässlichen Tagträumen aus einem tiefen, erholsamen Schlaf. Mein Hunger erinnert mich daran, bis auf ein paar handvoll Wasser, noch nichts zu mir genommen zu haben.
In der durch Wald und Berge abgedunkelten Abendsonne entdecke ich in nächster Umgebung mehrere prall gefüllte Brombeersträucher. Die Früchte sind nicht nur angenehm süß, sondern mir auch bestens vertraut. Beeren, die ich mit Namen kenne; Beeren, die ich sorglos, ohne die Angst an giftige Früchte, genießen kann. Die Kerne, die meine vernachlässigten Zahnzwischenräume füllen, erinnern mich an meine Schulzeit, an die endlosen Ermahnungen: »Pflege deine Zähne ordentlich, sie müssen ein Leben lang halten!« Ach hätte ich mich doch bloß daran gehalten. Ein Königreich für einen Zahnstocher. Die Kerne sind wirklich lästig. Mit Zunge und kleinem Finger versuche ich die kleinen Quälgeister loszuwerden.
Erst jetzt fällt mir auf, die Brombeeren besitzen keine Stacheln. Oder sind die Stacheln Dornen? Wieder diese lästige und völlig überflüssige Frage, die seit langem in meinem Kopf geistert. Egal... wildwachsende Brombeeren haben doch immer Stacheln? Aber diese? Es müssen kultivierte Sträucher sein. Ich suche die Ranken ab, aber weit und breit keine Stacheln. Die kirschgroßen Früchte sind für wilden Wuchs auch viel zu groß. Bei genauerer Betrachtung ist auch die Anordnung der Stauden zu gleichmäßig. Trotz des scheinbaren Wildwuchses erkenne ich ein geometrisches Pflanzsystem, das vor langer Zeit gut geplant wurde.
Es müssen hier, wenn auch vor längerer Zeit, Menschen gelebt haben. Die Bewohner waren sicher keine Wanderer, wie ich. Nomaden hätten nichts gepflanzt, das nach Jahren erst Früchte getragen hätte.
Ich mache mich auf, weitere Spuren im immer dunkler werdenden Abend zu suchen. Kurze Zeit später, gebe ich jedoch auf. Es wird zu dunkel.
Müde vom Staunen und Entdecken, suche ich mir bei fast völliger Dunkelheit einen trockenen Unterschlupf für die Nacht. Ein zwei mal drei Meter breiter Felsvorsprung erscheint mir ideal und vermittelt so etwas wie Heimat, Sicherheit und Geborgenheit.
Eingerollt in meinen Umhang, geschützt vor Regen und Kälte, schlafe ich ohne weitere Gedanken in Minuten ein.
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